Frau Dr. Janina Bolling (links) und Frau Dr. Manuela Zude-Sasse (rechts).
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Rein in den Prozess | Interview zum ZIM-Netzwerk „AgriPhotonik“

Im Interview beschreiben Dr. Manuela Zude-Sasse und Dr. Janina Bolling den Entstehungshintergrund des internationalen ZIM-Netzwerks „AgriPhotonik“, den Bedarf an transparenter Technik als Antwort auf die Herausforderung globaler Erwärmung sowie potenzielle Partneroptionen.

optiMST: Wie ist das ZIM-Netzwerk „AgriPhotonik“ entstanden?

Dr. Manuela Zude-Sasse: In der agrartechnischen Forschungsarbeit am ATB haben wir festgestellt, dass der Bedarf für eine präzise Bewirtschaftung in der pflanzlichen Lebensmittelproduktion sowie im Nacherntebereich in den letzten zwei, drei Jahren gestiegen ist. Zu viele Lebensmittel werden weggeworfen. Zudem machen sich die Auswirkungen der globalen Erwärmung immer stärker bemerkbar: Wir haben Spätfrosterscheinungen, Früchte erleiden Sonnenbrand und die Trockenheit erfordert einen anderen Umgang mit Wasser.

Das Leibniz-Institut hat schon länger nach Techniklösungen für den Brückenschlag in die Anwendung für eine nachhaltige Intensivierung des Pflanzenbaus gesucht und möchte die Zusammenarbeit mit Firmen ausbauen. Und dafür braucht man Partner. Ende 2018 wurde der Geschäftsführer von OpTecBB, Dr. Frank Lerch, durch einen Vortrag von mir auf das Thema aufmerksam.

optiMST: Wie ging es weiter?

Dr. Manuela Zude-Sasse: Wir kamen miteinander ins Gespräch und er schlug vor, die Fragestellung gemeinsam zu beantworten, zumal sich die Gesamtsituation, das heißt das Verhalten und der Anspruch der Verbraucher sowie der Produzenten, sich weiter verändert haben. Dr. Lerch hat erkannt, dass es im optischen Bereich Potenziale gibt, um in den Markt einzusteigen und der pflanzenbaulichen Produktion (bessere) „Augen“ für effizientere Prozesse zur Verfügung zu stellen.

Dr. Janina Bolling: Der Vorteil optischer Sensoren ist darin begründet, dass damit am Produkt zerstörungsfrei gemessen werden kann und eine Begleitung über einen langen Zeitraum möglich ist, um Daten zu sammeln. Inzwischen gibt es auch preisgünstige Varianten.

Dr. Manuela Zude-Sasse: Anwender müssen mit aus Sensoren gewonnenen Informationen arbeiten können, um präzise zu produzieren. Der Sensor ist ein Meilenstein, das agronomische Modell ist ein Meilenstein. Letztlich streben wir transparente Technik, sprich ein Ampelsystem an: Die Düse an der Spritze geht an oder nicht, je nach tatsächlichem Bedarf.

Dr. Janina Bolling: Für diese Empfehlung müssen die (optische) Sensor-Technik und kundenorientierte Datenauswertung in den Prozess integriert sein. Deswegen wurde das Netzwerk gegründet: Es soll dazu führen, dass die verschiedenen Sensordaten miteinander kombiniert werden können, damit Landwirtschaft und Produktion besser informierte, ressourcenschonendere und kostengünstigere Entscheidungen treffen können.

optiMST: Welche Forschungsinstitute gehören dem Netzwerk an?

Dr. Janina Bolling: Es handelt sich zum einen um agrartechnologische Forschungsinstitute aus dem Raum Berlin/Brandenburg wie das ATB, das  IGZ sowie die HU mit dem Fachbereich Biosystemtechnik. Zusätzlich kommen von der Universität Potsdam die Physikalische Chemie und die Geologie.

Die TU Berlin, die Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.V., Optotransmitter-Umweltschutz-Technologie e.V.- sowie Fraunhofer-Institute unterstützen mit ihrer Expertise im optischen und Mikrosystemtechnikbereich dabei, Sensoren kleiner, effizienter und kostengünstiger zu machen, um sie in größere Systeme integrieren zu können.

optiMST: Und welchen Bereichen sind die Partner aus der Industrie zuzuordnen?

Dr. Janina Bolling: Der Großteil sind kleine und mittelständische Unternehmen aus der Sparte Optik bzw. Mikrosystemtechnik. Manche können auf Erfahrung im Agrarbereich zurückgreifen. Von neun Firmen haben sich zwei, drei bereits mit Fragen der Produktion und Nachernte beschäftigt.

Die anderen sind Allrounder, die verschiedene Module anbieten, die wiederum für unterschiedliche Fragestellungen eingesetzt werden können. Darüber hinaus gibt es auf deutscher Seite assoziierte Partner und Unternehmen aus dem Bereich Software, Agrar- und Umwelttechnik, Maschinenbau und UAV-Entwicklung.

optiMST: Stichwort deutsche Seite: Warum Israel bzw. wie kam der Kontakt zu dortigen Firmen und Forschungseinrichtungen zustande?

Dr. Janina Bolling: Dr. Lerch hatte 2017 die Chance, nach Israel zu reisen und sich vom Aufbau des israelischen Netzwerks im Bereich der Photonik (Photonics Israel) einen Eindruck zu verschaffen. Daraus entstand ein intensiver Austausch. Israel ist sehr fortschrittlich, was optische Technologien angeht. Zudem haben sie auf dem Agrarsektor Pionierarbeit geleistet. So lag der Wunsch nahe, israelische Forschungsinstitute und Unternehmen für diesen Themenschwerpunkt ins Netzwerk zu integrieren.

optiMST: Welche Art Partner sind aus Israel im Netzwerk vertreten?

Dr. Janina Bolling: Photonics Israel ist der Koordinator auf israelischer Seite. Die Partner sind auf Institutsseite die Agricultural Research Organization (ARO) und das Triangle Research and Development Center (TRDC). Wir stehen weiterhin im engen Austausch mit Arbeitsgruppen in verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen in Israel. Zudem sind kleinere Firmen sowie Start-ups in das Netzwerk eingebunden und weitere können durch Photonics Israel für Projektthemen aktiviert werden.

optiMST: Doch Sie möchten weiter wachsen, wen möchten Sie zukünftig gewinnen?

Dr. Manuela Zude-Sasse: Neben großen, etablierten Unternehmen als Multiplikator sind Start-ups prädestiniert für das, was wir vorhaben. Deren Gründer kommen in der Regel frisch von der Uni, sie haben meist tiefergehende Erfahrung im Technologiebereich und sind internetaffin. Wir streben Technologietransfer an, das heißt, bestehende Technik soll nicht verbessert werden, vielmehr wollen wir Neues erschaffen.

Dafür brauchen wir Start-ups, Leute, die sich in der Tiefe mit Technik bzw. bei Anwendungen auskennen. Mit ihnen als Dienstleister ist es möglich, die Technik in den Prozess zu integrieren, damit Landwirtschaft und Produktion eine Empfehlung und speziell bei schnell wechselnden Umweltbedingungen eine quantitative Unterstützung erhalten.

Zu den Interviewpartnerinnen

Manuela Zude-Sasse beendete ihr Studium Chemie und Gartenbau an der TU Berlin mit dem Masterabschluss 1996. Drei Jahre später schloss sie ihre Promotion im Bereich Obstgehölzphysiologie (summa cum laude) an der TU Berlin ab. Erstmals leitend wissenschaftlich tätig war Manuela Zude-Sasse am ATB von 1999 bis 2003 und 2003 bis 2004 am INRA Versailles in Frankreich. 2004 habilitierte sie für das Fachgebiet Angewandte Pflanzenphysiologie (HU Berlin). Manuela Zude-Sasse erhielt mehrere Preise: den Technologietransferpreis Brandenburg 2003 sowie die Silbermedaille Innovation „Adaptive Blütenausdünnung“ der Agritechnica Hannover 2017. Neben der Arbeitsgruppenleitung Präzisionsgartenbau am ATB seit 2005 bekleidete Dr. habil. Manuela Zude-Sasse eine Professur an der Beuth Hochschule für Technik von 2009 bis 2017 und hat das ZIM-Netzwerk „AgriPhotonik – Wissensbasierte, standortangepasste und nachhaltige Pflanzenproduktion mittels optischer Verfahren“ gemeinsam mit OpTecBB am ATB initiiert.

Janina Bolling, geboren 1975 in Berlin, ist diplomierte Diplom-Agraringenieurin Fachrichtung Gartenbau. 2006 promovierte sie zum Thema zerstörungsfreie Qualitätsbestimmung von Obst und Gemüse mittels laserinduzierter Fluoreszenzspektroskopie an der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin (summa cum laude) in Zusammenarbeit mit dem ATB, einschließlich Aufenthalte in Belgien, Frankreich und Ungarn. Am ATB war Janina Bolling dann von 2006 bis 2009 als Postdoc tätig. Danach leitete sie dort bis 2015 ein DFG-Teilprojekt im Rahmen des DFG/AIF-Clusters „Minimal Processing“. 2018/2019 war die promovierte Agraringenieurin an der HU Berlin in ein Projekt zu hydroponischen Anbauverfahren eingebunden. Seit 2019 ist Janina Bolling bei OpTecBB e.V. tätig mit dem Schwerpunkt AgriPhotonik und übernahm 2020 die Leitung des ZIM-Netzwerks „AgriPhotonik – Wissensbasierte, standortangepasste und nachhaltige Pflanzenproduktion mittels optischer Verfahren“.

Dieses Interview wurde von Marion Appelt (havelcom concept) für optiMST erstellt.


Über AgriPhotonik

Das internationale ZIM-Netzwerk „AgriPhotonik – Wissensbasierte, standortangepasste und nachhaltige Pflanzenproduktion mittels optischer Verfahren“ ist offiziell am 1. Januar 2020 gestartet. Es besteht derzeit aus 29 Forschungseinrichtungen und Unternehmen aus Israel und Deutschland. Ziel des Netzwerks ist die Entwicklung praxistauglicher Lösungen und die Implementierung digitaler, optischer Technologien in nachhaltige landwirtschaftliche Prozesse von der Saat bis zum (vor)verarbeiteten Produkt.

Die Laufzeit des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Konsortiums ist zunächst auf 1,5 Jahre angelegt. Das Netzwerk ist offen für Partner aus Wissenschaft und Industrie, die im Bereich Agrartechnik und Photonik angesiedelt sind. Gemanagt wird es von Optec-Berlin-Brandenburg (OpTecBB) e.V.

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